Ein Jahr in Deutschland
Die Erfahrung eines diakonischen Jahres bedeutet für mich einen großen Schritt und hat in meinem Leben entscheidende positive Veränderungen herbeigeführt: Ich bin aus dem Alltag ausgebrochen und erlebe nun eine einzigartige Erfahrung. Diese bedeutet das Ende für fast alles, was ich zu wissen geglaubt habe, ohne dass ich dabei jedoch die Verbindung verliere zu dem, was mich geprägt hat: Meine Familie, meine Freunde und mein Land.
Der Abschnitt meines Lebens, in dem ich als Voluntärin arbeite, ist Anderen gewidmet, der Hilfe für andere Menschen. Mich persönlich schmerzt die große Distanz zu meinem Zuhause, aber sie hilft mir auch, die kleinen Gesten der Leute wertzuschätzen, mit denen ich jeden Tag zu tun habe.
Mein Voluntariat hat sich als mehr herausgestellt, als ich erwartet hatte, und immer wieder gibt es neue Überraschungen. Nichts ist so, wie es dir erzählt wurde, jeder macht seine ganz eigenen Erfahrungen und jeder Einzelne muss die Dinge für sich selbst entdecken und herausfinden.
Im Moment arbeite ich in Nordrhein-Westfalen, in einem Ort namens Werther im Bezirk Halle. Ich arbeite mit zwei Jugendgruppen: Die eine bietet verschiedene Aktivitäten für Kinder an (ich helfe in einem Kinderchor) und die andere organisiert einmal im Monat einen dynamischen Gottesdienst (Jacobi Live). Aber meine reguläre Arbeit verrichte ich jeden Tag in einem Kindergarten.
Wenn ich auf mein Leben der letzten drei Monate zurückblicke, gibt es viele Dinge, die ich mit Euch teilen möchte. Zum Beispiel die Bekanntschaft mit Jutta.
Jutta ist 43 und arbeitet in der „Igelgruppe“ (die einzelnen Gruppen das Kindergartens haben alle Tiernamen) in der ich täglich mithelfe. Ihre Arbeitsweise hat meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen, besonders wegen der Art wie sie mit jedem einzelnen der 20 Kinder aus der Gruppe umgeht. Manchmal denke ich, dass für sie alle Kinder große, geheimnisvolle Persönlichkeiten sind. Es ist interessant, daran teilhaben zu können, mit wie viel Liebe und Hingabe sie jedem Kind hilft, seine Persönlichkeit zu entwickeln, sich für diese wertzuschätzen, andere zu respektieren, zu verstehen dass jeder Rechte hat, aber es trotzdem auch Grenzen gibt. Dass Gewalt dazu führt, dass man alleine bleibt, und dass es Regeln gibt, die wir alle einhalten müssen. Kurz gesagt zeigt sie ihnen, wie man in einer Gesellschaft lebt. Außerdem besitzt sie die Gabe, auch diejenigen zu verstehen, die Schwierigkeiten mit der Sprache haben, und das ist natürlich für eine ausländische Praktikantin sehr gut.
Mit Jutta und meiner Kollegin Christina vergeht der Tag wie im Flug, weil alles was sie tun voller Energie ist. Dank Jutta fühle ich mich heute in die „Igelgruppe“ integriert. Alles was ich bis jetzt gelernt habe ist einzigartig und ich bin sicher, dass es für mich immer noch viel zu lernen gibt.
Ich glaube, dass das Bild, das wir von Deutschland haben, sehr irreführend ist. Hier ist nicht alles so einfach, wie wir uns das vorstellen, aber ebenso fehlt es den Menschen nicht an so vielem wie in meinem Land. Die Menschen haben dafür andere Bedürfnisse, die nicht durch die wirtschaftliche oder die materielle Situation entstehen. Bedürfnisse, die schmerzhaft dringend sind und die heute meiner Meinung nach Einsatz erfordern; meinen Einsatz.
Es war sehr schwierig für mich, Kontakte zu den Menschen aus meiner Umgebung aufzubauen. Man sagt: Gegenüber neuen Personen verschränkt man hier die Arme und sagt „Mal sehen was passiert“. Sie sind sehr verschlossen, aber wenn sie dich akzeptieren, hast du Freunde fürs Leben gefunden.
Ich glaube, dass ich die Barrieren langsam überwinde und fühle mich jeden Tag wohler. Wenn man mich fragt ob es das Heimweh und den Kummer lohnt, sage ich: „Tausendmal ja!“ Denn ich werde hier mit einer ganz anderen Situation konfrontiert als mein bisheriges Leben und auch mit einer ganz anderen Seite von mir selbst und ich muss mich mit beidem auseinandersetzen.
Zu wissen, dass mir noch einige Monate meines Aufenthaltes bleiben, macht mich glücklich, und wenn ich die Möglichkeit dazu hätte, würde ich dieses Abenteuer bald wiederholen!
Allen, die mir geholfen haben, die mich begleiten und mein Glück mit mir teilen, sage ich herzlich: Danke!
Claudia Wölfle
Übersetzung: Rebekka Makari |